Der rechte Wandel

von horst gunkel

Mit dem Pfadglied des rechten Wandels bezeichnet der Edle Achtfache Pfad, die Bemühungen des praktizierenden Buddhisten, seinen Lebenserwerb auf ethische Weise zu verdienen. Buddha nannte als Beispiele für unedlen Wandel den Handel mit Menschen und Tieren, die Jagd und die gewerbsmäßige Tötung von Menschen und Tieren, also auch das Soldatenhandwerk sowie der Handel mit Waffen und Drogen. In unserer komplexen Erwerbswelt ist es zunehmend schwieriger, sich dem Rechten Wandel konsequent zu verschreiben.

Hierbei sind die Wege, die der praktizierende Buddhist geht, häufig nicht ganz gradlinig. Während der Bemühungen zum Rechten Lebenserwerb zu kommen, ergeben sich häufig Hindernisse, vor allem aufgrund von zwei der drei Wurzelübel, nämlich primär der Gier, aber auch der Verblendung. Ich möchte dies am Beispiel meiner beruflichen Laufbahn und meiner damit verbundenen Entscheidungen deut-lich machen. Hierbei soll aufgezeigt werden, wie es ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Rechtem Wandel einerseits und Gier und Verblendung andererseits gibt. Es soll dabei deutlich werden, dass das aufrechte Bemühen um Rechten Wandel und die ständige Konfrontation mit der beruflichen Realität zu Kurskorrekturen zwingt, bei denen es darum geht, die noch vorhandenen Elemente von Gier und Verblendung zu überwinden. Doch wann immer ein gröberes Element von Gier und Verblendung überwunden ist, taucht bei genauerer Analyse ein subtileres Hindernis, ein noch feiner versteckter Aspekt von Gier und Verblendung auf.

1. Erkenntnisstufe

Meine Jugend und damit die Zeit, einen beruflichen Werdegang zu planen, fiel in die späten 60er Jahre. Zwar kannte ich damals weder den Buddha-Dharma im Allgemeinen noch das Pfadglied des Rechten Wandels als Teil dieser Lehre im Besonderen, dennoch war mir als ethisch denkendem Jugendlichen der Inhalt, die Selbstverpflichtung zu Rechtem Lebenserwerb eine Selbstverständlichkeit. Dies bedeutete natürlich zunächst einmal, den Kriegsdienst zu verweigern. Aber auch bereits in der Schule musste eine gewisse Vorentscheidung gefällt werden, galt es doch mit der Wahl eines Schwerpunktzweiges für die gymnasiale Oberstufe eine Vorentscheidung der Berufswahl zu treffen. Drei Zweige der Oberstufe standen damals zur Auswahl, der sprachliche (der meinen Fähigkeiten in keiner Weise entsprach), der naturwissenschaftliche und der wirtschafts- und sozialwissenschaftliche.

Naturwissenschaften fand ich damals zwar interessant und spannend, die Konsequenzen jedoch erschreckend. Die Physiker standen für den wissenschaftlichen Sündenfall schlechthin: sie hatten die Atombombe geschaffen und Physik bedeutete für uns immer Zuarbeit zu einer militärisch verwendbaren Technologie. Auch für die Chemie galt das teilweise, doch Chemie hatte noch einen anderen Aspekt: immer neue chemische Substanzen wurden synthetisiert, deren ökologische Auswirkungen völlig unklar waren. Chemie war Gift, Chemie stand für die Verblendung mit einem Mittel Großes bei einem spezifischen Problem zu leisten (z. B. mit DDT), ohne zu realisieren, dass die Probleme, die man damit aufwirft den Nutzen übersteigen. Chemie stand für die Unfähigkeit in Zusammenhängen zu denken. Einrichtungen, die heute in aller Munde sind, z. B. das Öko-Institut, gab es damals noch nicht und wo es möglicherweise Ansätze in diese Richtung gab, waren sie mir völlig unbekannt. Blieb noch als dritte Richtung innerhalb der Naturwissenschaften die Biologie. Biologie aber stand für zweierlei: für Tierversuche und für Mani-pulation des Lebens. Schon während der Ausbildung waren zu Versuchszwecken Frösche und Ratten zu töten oder an lebendigen Exemplaren zu experimentieren. Und für die Zukunft war der Weg dieser Wissenschaft damals schon klar gekennzeichnet: hin zu Manipulation des Lebens, u.a. zu dem, was man heute unter dem Schlagwort Gentechnik zusammenfasst.

Die Naturwissenschaften insgesamt waren es, die unserer Gesellschaft den raschen Wandel erlaubte, jedwede Ethik war dabei ins Hintertreffen geraten. Es kam also darauf an, die Geisteswissenschaften zu stärken, sagte ich mir und entschied mich für den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Zweig, wobei mein Interesse eindeutig bei den Sozialwissenschaften lag. Nachdem ich diesen Weg einmal eingeschlagen hatte, war klar, dass ich auch mein Studienfach aus diesem Bereich wählen würde. Hier ergab sich aber ein neues Problem: die aufkommende Arbeitslosigkeit bei Akademikern war abzusehen: Philosophie, Psychologie, Soziologie oder Ethnologie fanden zwar mein besonderes Interesse, aber diese galten, wohl nicht ganz zu unrecht, als brotlose Künste.

So entschied ich mich aus der Palette des einmal eingeschlagenen Weges (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) ausgerechnet für die Wirtschaftswissenschaft. Hierbei waren eindeutig die beiden Wurzelübel Gier und Verblendung bestimmend. Zwar war es nicht die Gier, das ganz große Geld zu verdienen; ich träumte nicht von den Vorstandsetagen der Wirt-schaftskonzerne, es war vielmehr die alltägliche, die kleine Gier - von mir damals als "Sicherheitserwägung" bezeichnet. Der Beruf sollte ein gutes Auskommen für mich und meine Familie bedeuten, es war der alte Mittelstandstraum: das Haus im Grü-nen, keine finanziellen Sorgen, eine glückliche Familie. Und es gab dann auch noch das Element der Verblendung, ich glaubte, die Wirtschaft benutzen zu können, anstatt von der Wirtschaft benutzt zu werden.

2. Erkenntnisstufe

Mit meinem Studium wuchs auch mein Einblick in die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und damit die Erkenntnis des oben genannten Elementes der Verblendung. Für wen wirst du arbeiten? fragte ich mich, und: Welche Produkte stellst du her? Wofür werden die Komponenten, an deren Vermarktung du arbeitest, eingesetzt? Und so begann ich die Möglichkeiten abzuschätzen, sah mir die in Frage kommenden Großunternehmen meiner Region an. In meinem Wohnort Hanau war der größte Arbeitgeber die Atomindustrie. Unmöglich dort zu arbeiten! Dann gab es in der unmittelbaren Umgebung noch chemische Fabriken wie die Degussa oder die Farbwerk Hoechst. Hier galt jedoch alles das, was mich veranlasst hatte, Chemie abzulehnen. Also sah ich mir zunächst unverdächtige Betriebe an, wie die Neue Technologien GmbH, die ABB, die GKN Windsor oder die Honeywell. Doch ich stellte fest, dass die dort gefertigten Komponenten teilweise Verwendung finden in der Rüstungsindustrie. All´ das, weswegen ich die Naturwissenschaften abgelehnt hatte, all´ das wäre Gegenstand meiner Arbeit gewesen. Und ich hätte nicht nur, wie als Naturwissenschaftler an der Entwicklung gearbeitet, sondern daran, diese Produkte optimal zu vermarkten, womöglich erst Bedürfnisse bei den potentiellen Käufern dafür zu wecken.

Also wechselte ich mein Berufsziel innerhalb des Bereiches Wirtschaft und entschloss mich, Handelslehrer zu werden. Dies hatte den Vorteil, dass die bisher ins Studium investierte Zeit voll anerkannt wurde. Doch auch auf dieser Erkenntnisstufe waren wieder Gier und Verblendung meine Berater. Die Gier war noch etwas subtiler als auf der vorigen Stufe, sie kam wieder im Mantel der "Sicherheitserwägung" daher: als Lehrer bist du Beamter, du verdienst zwar nicht besonders viel, aber ausreichend und hast keine Arbeitslosigkeit zu fürchten. Und dann kam da auch noch ein zweites Element einer subtilen Gier: Es gibt jede Menge Ferien! Aber auch die Verblendung meldete sich wieder und auch diesmal lag hier der hartnäckigere Fehler. Wie schön muss es sein, junge Menschen zu bilden. Nicht die privilegierten Jugendlichen im Gymnasium, sondern die anderen, die von der Haupt- oder Realschule Kommenden zur Selbstbestimmung zu führen, sie lehren, ihre eigenen Interes-sen wahrzunehmen und ihnen zur wahrheitsgemäßen Erkenntnis der Wirklichkeit zu verhelfen. Diese letztgenannte Verblendung ist es wohl, die neben den Sicherheitserwägungen nicht nur mich, sondern Zigtausende von Lehrern dazu gebracht hat, an der Realität zu scheitern, ist der Grund für das Burn-Out-Syndrom was unzählige Lehrer entweder in den Zynismus oder in den Alkoholismus führt. Aber es sollte Jahre dauern, bis mir das bewusst wurde und ich bereit war, daraus die Konsequenzen zu ziehen.

3. Erkenntnisstufe

Wie viele meiner Kollegen stellte auch ich bald fest, dass es nicht so einfach war, die hehren Ziele in die Schule zu tragen, dass unsere SchülerInnen sich für alles andere mehr interessierten als für die Lernziele Emanzipation und Solidarität, dass Fernsehen und Video einen weitaus größeren Einfluss auf die jungen Menschen ausüb-ten als die Schule. Aber es kam noch eine schlimmere Erkenntnis dazu: meine Fixierung auf das Fach Wirtschaft hatte mich und mein Denken verändert: mein Hirn arbeitete in der Logik des gierwirtschaftlichen Systems. Ich musste mir bei genauerer Analyse eingestehen: ich hatte dieses Prinzip internalisiert und unbewusst damit begonnen, es an die SchülerInnen weiterzugeben. Unser gierwirtschaftliches System ist für die meistens Menschen der Leitfaden ihres Lebens und Handelns. Die Werte, die zu anderer Zeit von den Religionen gegeben wurden, waren ersetzt worden durch die Religion des Konsumismus. Und das Schlimmste daran: als Han-delslehrer war ich ihr Vermittler! Ich war ein Religionslehrer Maras, des Übels, geworden. Und zwar sowohl in der Schule, als auch in der Erziehung meiner Kinder.

Und einmal mehr musste ich mein berufliches Handeln korrigieren. Dies machte ich in drei Schritten. Schritt 1 bedeutete weniger zu arbeiten. Ich gab meine volle Stelle auf und beschied mich mit einer Teilzeitstelle. Dies bedeutete zunächst einmal ein entsprechend geringeres Einkommen und damit ein bewussteres Konsumieren. Dabei ist auch der Einfluss auf meine Kinder wichtig. Die Übel der Wohlstandsgesellschaft lassen sich durch teilweisen Verzicht auf Wohlstand mindern. Umfassender Konsum wurde weniger selbstverständlich. Konsum und gesellschaftliche Leistung rückten wieder in ein angemesseneres Verhältnis zueinander. Andererseits gab dies mir mehr Zeit. Zeit, die ich sinnvoller einsetzen konnte als Geld für unnötigen Konsum zu verdienen.

Dies bedeutete Schritt 2: mehr bewusst arbeiten. Neben der Arbeit für die Schule trat wieder Hausarbeit, dazu kam Meditation, hatte ich doch inzwischen den Dharma entdeckt. Beides gemeinsam trug dazu bei, mein Denken neu zu organisieren, weg von der gierwirtschaftlichen Logik und hin zur Logik des Dharma. Auch wurde Zeit für unbezahlte gesellschaftlich sinnvolle Arbeit frei,  z. B. meine Tätigkeit im ÖkoBüro Hanau oder bei der Erstellung des BuddhaNetz-Infos.

Aufgrund des veränderten Denkens kam es zu Schritt 3: anders arbeiten. Auch mein Schulunterricht begann sich zu verändern, es wurde mir immer mehr möglich, den Dharma in die Schule, in meinen Unterricht zu tragen. Dies ist nun nicht so zu verstehen, dass ich dort die Lehren des Buddha explizit darlege; nicht nur wo Dharma draufsteht, ist Dharma drin. Vielmehr ist es so, dass es mir verstärkt gelingt, der gierwirtschaftlichen Logik eine ethikwirtschaftliche Logik gegenüberzustellen. Und auch mein Verhalten gegenüber den SchülerIn-nen hat sich dadurch geändert. Immer mehr gelingt es mir, die SchülerInnen als Wesen mit dem Keim zur Buddha-Natur zu erkennen und weniger als zu bearbeitende Werkstücke mit eingebautem Störpotential.

4. Erkenntnisstufe ?

Die letzte Schilderung klingt sehr positiv. Ich bin aber nicht so vermessen zu glauben, ich hätte nunmehr den Stein der Weisen gefunden oder sei am Ende eine Erkenntnisprozesses angelangt. Auch auf der dritten Erkenntnisstufe haben sich gewiss die Hindernisse Gier und Verblendung auf noch subtilere Art eingeschlichen, möglicherweise auch irgendwo noch das Übel der Aversion. Ich habe sie noch nicht entdeckt. Doch sobald ich sie entdeckt habe, ist der Schritt zur 4. Erkenntnisstufe gemacht, die wohl auch nicht die letzte sein wird. Schließlich werde ich noch lange ein Übender sein. Aber ein Übender, der sich sicher ist, auf dem richtigen Weg zu sein, nämlich auf dem Edlen Achtfältigen Pfad. Svaha!


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