neue hanauer zeitung Nr. 51, 7/8 1989


Außer Kontrolle

Unzensierte Einblicke in die Kontrollbehörde IAEO

Irgendwoher muß der Plutonium-Schwarzmarkt seinen Nachschub doch bekommen. Seit ein Wiener Großschwarzhändler im deutschen Fernsehen im Rahmen der Libyen-Pakistan-Affäre großzügig auspackte, geht uns diese Frage durch den Kopf. Eine mögliche Antwort gibt der im folgenden Artikel untersuchte "interne Bericht" der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) in Wien.
Wenn das Fehlen von bis zu 52 Kilogramm Plutonium pro Jahr -also der Stoff für sieben bis acht Atombomben - bei einer Großanlage wie zum Beispiel der RBU oder der ALKEM von den Wiener Kontrolleuren nicht bemerkt wird, könnte das eine Schwarzmarktquelle sein. Oder eine Zapfstelle für die halboffiziellen Spaltstofflieferungen an kerntechnische Peripherieländer wie Indien und Pakistan, Israel und Brasilien.

Bernd Reuter, SPD-MdB aus Nidderau und Mitglied des Bonner Nuklear-Untersuchungs- ausschusses, bestätigt "nach Kenntnisstand der Fraktion" die Authentizität des IAEO-Berichtes. Reuter: "Die von Professor Schlich analysierte Schwachstelle bei den IAEO-Kontrollen ist ist bisher von der Öffentlichkeit, von den Medien, übersehen worden, sofern die Daten zugänglich waren." Ob der "interne Bericht" bisher anderen Journalisten vorlag, können wir nicht sagen. Fakt dagegen ist, daß neben dem öffentlich zugänglichen Teil Eins des Berichtes - mit Fahrtkostenabrechnungen der Wiener Spaltstoffflußkontrolleure und anderen ähnlich wichtigen Informationen - die der Geheimhaltung unterliegenden Teile Zwei und Drei allen Vertragsstaaten und den dort zuständigen
Aufsichtsbehörden vorliegen. (Und hier hat sich Professor Elmar Schlich zugunsten von Weimar und Töpfer geirrt: Der von ihm untersuchte IAEO-Safeguard-Report ist nicht nur ein  Entwurf, sondern identisch mit der Endfassung, der den Umwelt- und Reaktosicherheitsministern vorliegt.

Auf Anfrage behauptete das hessische Umweltministenum zwar zunächst, den IAEO-Bericht nicht zu kennen, um sich bei einer weiteren Anfrage auf den Satz zurückzuziehen: "Wenn das mit den Fehlerquoten so im Bericht steht, wird es wohl stimmen." So die Pressesprecherin des Herrn Weimar. Die Minister Töpfer und Weimar wissen spätestens seit Erstellung des Berichtes von der Möglichkeit, besonders bei Großfirmen' vom Spatstoff-Fluß nicht unerhebliche Rinnsale in noch dunklere Kanäle abzupumpen.

Bernd Reuter bezüglich der Kontrollpraxis der IAEO zur nhz: "Bei den Aussagen der Wiener vor dem Bonner Untersuchungsausschuß wurde klar: Es geht der IAEO nicht darum, Abzweigungen zu verhindern. Die recherchieren lediglich den Abzweigungen hinterher."

Und wie schwer es den gerade mal 99 Wiener Kontroll-Zwergen bei ihren weltweiten  Recherchen gemacht wird, belegt ein Ergebnis der Sitzung des Bonner Untersuchungsausschusses Mitte Juni ,89: Die Kraftwerksunion (KWU) hat 1979 bei einem Milliarden-Atomgeschäft mit den argentinischen Militär-Diktatoren die erheblich kostengünstigere kanadische Konkurrenz aus dem Feld geschlagen. Möglich wurde dieser so garnicht marktwirtschaftliche Deal, durch die verbindliche Zusage der KWU an die argentinischen Generäle, sie bräuchten dem Atomwaffensperrvertrag nicht beizutreten. Die Sprachregelung für diesen Punkt im Geschäftsabschluß steuerte ein gewisser Otto Graf Lambsdorff bei - so die Aussagen der Zeugen in Bonn. Daß der Graf sich jetzt weigert, zu diesem Thema vor dem Ausschuß auszusagen, ist gut nachvollziehbar. So, wie in diesem und in anderen Fällen mit dem Weiterverbreitungsverbot  hantiert wurde, verstärkt das zumindest die Befürchtung, daß die "Bilanzungenauigkeiten" der Wiener Kontrolleure gezielt zur Weiterverbreitung von Spaltstoffen genutzt werden könnten.

habe

Außer Kontrolle

von Elmar Schlich
"Ein signifikanter Teil des Inventars (36 signifikante Mengen) konnte in einer Brennelementfabrik nicht überprüft werden. DasMatenal bestand aus Brennelementen für Leichtwasserreaktoren, die schon in Transportbehältern fertig zum Transport verpackt waren. Das B-dienungspersonal weigerte sich, diese Behälter zu öffnen, um sie zu überprüfen, und verwies auf Garantievorschriften als Begründung."

Dieses und anderes findet sich in einem Bericht mit dem Namen: The Safeguards Implementation Report For 1987, Berichtsnummer GOV/2338, IAEO 1988.

Dieser Bericht - und das ist das Besondere - ist aber kein veröffentlichter Report, obwohl er in langen Passagen wortgleich ist mit dem offiziellen Jahresbericht 1987 der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEO). Es ist der unzensierte Berichtsentwurf der IAEO für 1987.
Dieser Report beweist, daß der offizielle Sprachgebrauch von den unerbittlichen  Kontrolleuren der IAEO und der EURATOM Gerede ist, Schönfärberei, Wunschdenken vielleicht.

In entscheidenden Passagen gekürzt

Hier die Tatsachen:
Der veröffentlichte Jahresbericht der IAEO 1987 ist in den entschei-denden Passagen gekürzt und daher in zensierter Form an die Vertragsgliedsländer, gegangen. Der mir vorliegende Berichtsentwurf beweist, daß die Ungenauigkeit bei den Spaltstoffbilanzen erheblich grösser ist als offiziell zugegeben wird.

Pro Jahr erstellt die IAEO mit Hilfe der von den Firmenbetreibem vorgelegten Zahlen (also nicht aufgrund eigener Messungen) eine Buchhaltung für jeden überwachten kerntechnischen Betrieb. In der BRD werden alle kerntechnischen Betriebe überwacht. Dies stellt für Reaktoren kein großes Problem dar, weil es sich bei den zu überwachenden Dingen um zählbare Einheiten, die Brennelemente, handelt.

Große Probleme mit  Hanauer Brennelementfabriken

Probleme gibt es in der Regel (nicht in der Ausnahme) bei Betrieben, die Spaltstoff in nicht zählbaren Mengen, also z.B. als Pulver oder als Lösung, verarbeiten. Grosse Probleme gibt es bei Betrieben, die das in großen Mengen tun.

Die weltweit größten überwachten Betriebe solcher Art finden sich - wo sonst - in Hanau: die vormalige RBU und die vormalige Alkem.

Der Offenbarungseid der Spaltstoff- Flußkontrolle

In einer komplizierten Rechnung versteckt sich die Wahrheit, findet sich der Offenbarungseid der Kontrolle der Spaltstoffe, es geht um SQ (significant quantity) und AVG (accountance verification goal).

Je nach Art des kontrollierten Materials berechnet man zunächst die SQ, das ist die sigtufikante Menge, also die Menge, die eine Waffe ausmacht. Bei Plutonium sind dies übereinstimmend acht Kilogramm. Dabei spielt keine Rolle, ob es sich um "Reaktorplutonium" oder "Waffenplutonium" handelt; die Kontrolleure unterscheiden dies nicht, und sie wissen auch warum: weil auch mit " Reaktorplutonium" mit etwas Aufwand eine massentödliche Waffe gebaut werden kann.
Aus der signifikanten Menge (SQ) berechnet man die AVG, das ist die Bilanzungenauigkeit.

Nun sollte man glauben, daß das Ziel und das Ergebnis der Kontrolle darin besteht, daß eine Jahresbilanz zumindest so genau ist, daß Abzweigungen einer signifikanten Menge entdeckt werden! Daß also bei der Alkem die Bilanzungenauigkeit (AVG) z.B. 1987 kleiner ist als acht Kilogramm Plutonium.

Das Gegenteil ist der Fall: die Bilanzungenauigkeit bewegte sich bei sechs großen überwachten Plutoniumfabriken im Jahre 1987 zwischen dem 1 ,62-fachen und dem 6,55-fachen einer waffenfähigen Menge. Das jedenfalls ist die Aussage des Berichtsentwurfs der IAEO für 1987.
Klar auch, daß dieser Satz im veröffentlichten Bericht fehlt.

Ähnliches findet sich für uranverarbeitende Betriebe: hier war die Bilanzungenauigkeit bei 80% aller überwachten Anlagen im Bereich einer waffenfähigen Menge, die Ausnahmen hiervon betrafen genau die Anlagen, die große Mengen nuklearen Materials handhaben; hier berechnete sich die Bilanzungenauigkeit auf Werte zwischen dem 1,06-fachen und dem 8,3-fachen einer waffenfähigen Menge.

Im Klartext: Wenn in einem grossen überwachten Plutoniumbetrieb innerhalb des Jahres 1987 bis zu 52,4 kg Plutonium (6,55 x 8 kg) fehlen, dann merkt das keiner. Und dennoch gilt für diese Betriebe das Ziel der Überwachung als erreicht!

Bei 37 Prozent der Betriebe noch größere Ungenauigkeiten

Der unzensierte Bereicht geht aber noch weiter: von 86 überwachten Anlagen der Art wie RBU/Alkem erreichen zwölf das Inspektionsziel überhaupt nicht, 20 erreichen dies nur teilweise, und nur 54 schaffen die oben genannte Zielvorgabe.

Also auch die schon beträchtlichen Bilanzungenauigkeiten sind für immerhin 37 % der überwachten Betriebe noch nicht groß genug. Gründe dafür finden sich nur als Beispiele; eines davon ist das eingangs zitierte Beispiel!

Da fragt man sich nur noch, was die parlamentarischen Untersuchungssausschüsse denn noch untersuchen? Oder andersherum gesagt: die ihnen zugewiesene Aufgabe, nämlich das nach den Nuklearskandalen aufgeschreckte Wahlvolk zu beruhigen, haben sie erfüllt.



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