Jonathan Watts
Engagierter Buddhimus im 21. Jahrhundert

Während unser Planet ins 21. Jahrhundert hineinplatzt, führt die Geschwindigkeit und die Kraft der Globalisierung zu immer mehr Fra-gen und Sorgen. Die Anzahl der unterschiedlichen Einflüsse ist dabei so groß, dass es schier unmöglich erscheint, sich mit allen auseinan-derzusetzen. Die elektronischen Medien sind inzwischen einer der wesentlichsten Einflussfaktoren auf unser Leben. Sie ermöglichen den multinationalen Konzernen mittels der Werbung einer globalen Konsumkultur die Tür zu öffnen. Andererseits ermöglichen diese Medien zuvor ungehörten Stimmen über Intenet-Homepages Zugang zur Öffentlichkeit zu finden. Wir bewegen uns aus der industriellen Revolution heraus in eine "Revolution der Symbole", wie Johan Galtung es nannte.

Diese "Revolution der Symbole" betrifft die Art, wie wir die Welt wahrnehmen. Ein typisches Bei-spiel dafür ist der Umgang der gleichgültigen Mehreheit der Japaner mit einem der schwersten Nuklearunfälle, nur 100 km von ihrer Hauptstadt. Wenn die Probleme, die E-Mails und die Auswahlmöglichkeiten in unse-rer globalen Konsumkultur zunehmen, ist der einfachste Weg, damit umzugehen, den Kanal zu wechseln, den Ton abzustellen und somit die Aufnahme von Reizen zu verändern, bis sich das Problem erledigt hat. Es gibt Trainingsse-minare die uns helfen wollen Probleme zu bewältigen - nicht etwa indem man sich ihnen stellt, sondern indem wir sie als unproblema-tisch wahrnehmen sollen. Wir haben mehr und mehr damit zu kämpfen, wem und was wir noch trauen können in den Myriaden unterschiedlicher Auffassungen davon, was um uns herum passiert. Dieser Kampf weist deutlich auf die Wahrnehmungskrise hin, die wir erfah-ren, während wir ins neue Millenium stolpren.

In dieser explosionsartigen Vermehrung unter-schiedlicher Perspektiven finden religiöse Erklärungsmodelle neuerdings wieder Interesse - nach Jahrhunderten des Schweigens während der Zeit der säkularen Moderne. Diese Moderne hat ihre Grundlagen in der mechanistischen Wissenschaft, kapitalistischen Unternehmen und dem Nationalstaat. Sie hat versucht, die alten korrupten Feudalstrukturen der Vetternwirtschaft zu ersetzen durch eine neue Welt-sicht, basierend auf der Vernunft und den Rechten des Einzelnen. Wie so viele Revoluti-onen ist auch diese ins Negative umgeschlagen, hat sich aufgerieben in Korruption, in egoisti-schem Individualismus und unersättlichem Materialismus.

Der engagierte Buddhismus stellt den Versuch des Buddhismus dar, eine Alternative zu beiden zu bilden: zur Korruption der alten Feudelzeit und zur desolaten Weltlichkeit der Moderne. Im Osten hat sich der engagierte Buddhismus mit dem Geist des Anti-Kolonialismus vereint. Im Westen wurde der engagierte Buddhismus zu einem Weg für die postmodernen Menschen, die beiden Essentials der Bewegung der 68er weiterzuentwickeln: Spiritualität und soziales Engagement gegen den Konsumterror.

Dieser Weg war allerdings dornenreich. Auch der Buddhismus - wie viele andere Institutio-nen - sieht sich mit einer Identitätkrise konfrontiert: archaische, vormoderne institutionelle Strukturen sind immer weniger in der Lage, die Bedürfnisse der modernen Asiaten zu befriedigen. Eine neue Art von "Aktivistenbuddhis-mus" und "Marktbuddhismus" stellen eine Herausforderung für die orthodoxen Konzepti-onen dar. Die westlichen Buddhisten hingegen haben im allgemeinen die buddhistische Philo-sophie auf ihre weltliches und agnostisches Moralempfinden aufgepfropft. Die westlichen engagierten Buddhisten im speziellen fühlen sich herausgefordert, die Essenz des Buddhismus so zurechtzubiegen, dass er im Einklang ist mit ihrem Drang zur Rettung der Welt und zu sozialer Revolution. In Japan hat sich in den letzten 15 Jahren eine kritische Neubewertung der Rolle des Buddhismus während der Gewalttätigkeiten des National-staates im Zusammenhang mit dem Zweiten Wekltkrieg herausgebildet. Dies hat zu einer tiefer gehenden Untersuchung darüber geführt, wie der Buddhismus seit seiner Einführung in Japan von staatlicher Seite dazu benutzt wurde, moralische Passivität und soziale Kontrolle zu fördern. In Thailand wird die einst unantastbare Orthodoxie des Theravada inzwischen von zwei Seiten angegriffen: die Modernisierer bewerten es als feudalistisch und nicht mehr zeitgemäß; Radikal-Konservative beklagen ironischerweise, dass seine Lehren verweltlicht wären und ihre Strukturen dahingehend geän-dert wurden, dem Staat zu dienen.

Viele Menschen, insbesondere in der Bewegung des engagierten Buddhismus, sehen im Buddhismus das Angebot einer neuen herausfordernden Antwort zur Fäulnis (corruption) des modernen Nationalstaates und zum kapitalistischen Materialismus. Auf jeden Fall hat die Moderne eine ganze Anzahl äußerst legitimer Herausforderungen gegenüber der Fäulnis in der buddhistischen Bewegung selbst hervorgebracht. Damit der Buddhismus im 21. Jahrhundert eine bedeutende soziale Kraft ist, muss er sich nicht nur der Fäulnis der Moderne stellen, sondern auch seinen eigenen lange währenden Fehlentwicklungen. Wenn man die Herausforderungen der Moderne nicht anspricht, zerfällt der Buddhismus in ein Objekt historisch-touristischen Interesses und ein Marketing-Werkzeug für Konsumartikel. Ohne eine tiefgehende und rigorose Analyse, wie die moderne Weltsicht arbeitet, wird der Buddhismus nicht in der Lage sein, all denen Menschen eine hoffnungsvolle Antwort zu geben, die ihn als eine neue Perspektive ansehen.


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