Interview mit Sulak Sivaraksa nach seinem Treffen mit dem Präsi-denten der Weltbank (1998)

Frage: In seiner Schlussbemerkung vor der Presse hat Erzbischof Corey das Treffen zum "Welt-Glaubens- und Entwicklungsdialog" als bemerkenswertestes Ereignis in der 800-jährigen Geschichte von Lambeth Palace (in London, wo das Treffen stattfand, LL) bezeichnet. Wie bedeutend ist das Treffen ihrer Meinung nach und worin liegt die Bedeutung?
Sulak Sivaraksa: Meines Erachtens war das Treffen offen und fruchtbar für beide Seiten. Ich glaube, die Weltbank meint es ernst damit, diese Institution menschlicher und bescheidener zu machen.  Er ist willens, richtig atmen zu lernen, um seine Gedanken und sein Herz in Einklang zu bringen und so die intellektuelle Arroganz zu überwinden. Und er wünscht, dass einige seiner Angestellten dies gleichzeitig lernen; übrigens verbringen viele seiner Angestellten mindestens drei Tage im Jahr mit den Armen und Unterdrückten. Ich hoffe, indem sie Bescheidenheit lernen, gelingt es ihnen tatsächlich, den Armen zuzuhören, zu erkennen, dass die Armen Würde haben und versuchen, ein bedeutungsvolles Leben zu leben, genau wie wir in der Mittelklasse.

Andere Personen, die ich interviewt habe, nannten es einen Durchbruch in bezug auf die Verbindung zwischen Religion und Entwicklungspolitik, dass das Treffen stattfand. Stimmen Sie dem zu? Und wenn ja, in welcher Hinsicht?
Ich stimme zu, denn niemals zuvor war ein Weltbankpräsident willens, religiösen Führern offenen Herzens zuzuhören und Kritik ernstzunehmen. Dr. Wolfensohn erinnert mich an Papst Johannes XXIII, der ein wirklich großer Mann war, demütig, der Fehler der Kirche zugegeben hat und offen war für wirklich ökumenische Arbeit, aber nach ihm stellt sich die katholische Kirche so dar, als habe sie sich keineswegs vorwärts bewegt. Ich hoffe, dass Dr. Wolfensohn lange genug in der Weltbank verbleibt, um den Boden zu bereiten für kon-struktive Arbeit auch nach seiner Zeit, und dass die Weltbank eine wirkliche Institution im Interesse der Armen und Unterdrückten wird, die ihnen zuhört und zu helfen versucht, mitunter mit geeigneten Mitteln um die Hindernisse zu überwinden, die von ihren eigenen Regie-rungen und korrupten Politikern aufgebaut wurden. Andererseits wäre es natürlich blauäu-gig, die Weltbank als Alliierten der Armen zu betrachten, willens den multinationalen Konzernen, die den Globalisierungsprozess voran-treiben, den Krieg zu erklären.

Der eigentliche Zweck des Treffens, so wie es der Presse erklärt wurde, war "die Chancen auszuloten für gemeinsames Verstehen und Handeln hinsichtlich des Problems der globalen Armut". Die offizielle Presseerklärung führte weiter aus, im Dialog solle diskutiert werden, wie die Entwicklungspolitik auf eine Basis gestellt werden könnte, die kulturelle, religiöse und soziale Strukturen und Werte einbezieht. Hat der Dialog diese Erwartungen erfüllt?
Generell kann man sagen, dass die Thematik aufgearbeitet wurde, allerdings kann man nicht sagen, dass die Themen genügend vertieft worden wären, denn das Treffen dauerte nur eineinhalb Tage.

Wir der Prozess fortgesetzt? Und wenn ja, wie?
Es geht insofern weiter, als Dr. Wolfensohn die Glaubensvertreter aufforderte, konkrete Vorschläge zu machen, diese Themen innerhalb von 9 bis 12 Monaten in Angriff zu nehmen und Dr. Wolfensohn würde dabei gerne etwas auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene sehen. Ich schlage vor, dass wir auf lokaler Ebene auf Ladakh in Indien sehen sollten, um ein Beispiel für Entwicklung mit spiritueller Dimension zu sehen. Helena Norberg-Hodge hat dieses Thema in ihrem Buch "Ancient Futures" behandelt. Die Weltbank könnte in der Tat ihre Bemühungen unterstützen, Ladakh zu einer Region erfolgreicher Entwicklung zu machen. Aus buddhistischer Sicht wäre dies eine Herausforderung für die Weltbank, sich von der Vergangenheit einer Entwicklung nach dem herkömmlichen ökonomischen Modell zu lösen. Auf nationaler Ebene glaube ich ist die Mongolei ein Beispiel, denn nachdem das Land die Kontrolle fast ganz an ein autoritäres bolschewistisches Regime abgegeben hatte, versucht die Mongolei jetzt so etwas wie eine buddhistische Demokratie zu entwickeln. Auf der regionalen Ebene schlage ich vor, Südostasien zu unterstützen in alternativer Entwick-lung, Ansätzen angepasster Technologie, alter-nativer Landwirtschaft mit ökumenischen, spirituellen Beiträgen des buddhistischen, christlichen, islamischen und hinduistischen Glaubens, ganz besonders angesichts der Krise in Siam und Indonesien. Es gibt bereits Ansätze auf Graswurzelebene, die ermutigt werden sollten, so dass bedeutungsvolle, von Selbstvertrauen geprägte, einfache Lebensstile jenseits des Konsumismus überleben können. Wenn die Mittelschicht veranlasst werden kann, von dem zu lernen, was auf Graswurzelebene geschieht, könnte eine gewaltfreie Bewegung geschaffen werden, die die soziale und die ökonomische Krise überwindet.

Ich habe gehört, das Treffen habe eine neue Atmosphäre, einen Paradigmenwechsel der Entwicklungsgeschichte geschaffen, der mate-rielle und spirituelle Aspekte kombiniert, wür-den Sie dem zustimmen?
Es könnte sich um einen neuen Anfang handeln, sodass die Entwicklungspolitik ernsthaft Rücksicht nimmt auf moralische, spirituelle aber auch kulturelle Zusammenhänge, andererseits auch ökonomische und materielle Ent-wicklung beinhaltet. Und ich weiß dabei insbe-sondere zu schätzen, dass eine Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, was bedeutet, dass am Ende nicht nur schöne Worte standen, sondern sich auch eine Perspektive eröffnet.

Wie wichtig war das Treffen als religiöses Treffen, eines, das hohe Würdenträger der wichtigsten Weltreligionen zusammenbrachte? Kann man sagen, dass die Weltreligionen an sozialen Problemen enger zusammenarbeiten, als das in der Vergangenheit der Fall war? Können Sie das Ereignis aus dieser Sicht mit einem vergangenen, vielleicht aus ihrer persön-lichen Erfahrung, vergleichen?
Soweit die Weltreligionen betroffen sind, haben sich einige von uns bereits vorher getrof-fen, aber eben nur untereinander, z. B. beim Parlament der Weltreligionen 1993 in Chicago. Jetzt war es das erste Mal, dass wir uns mit der Weltbank trafen und ich muss hinzufügen, dass ich vor dem Treffen nicht sehr zuversichtlich war, da ich befürchtete, dass die Weltbank uns nur als Dekoration missbrauchen wollte, um der Welt vorzumachen, sie würde sich um Religionen und um Kultur kümmern. Nach dem Treffen in Lambeth Palace habe ich jedoch den Eindruck, dass Dr. Wolfensohn es ernst meint, und ich hoffe, dass er mit diesem neuen Kurs Erfolg haben wird, aber ich weiß auch, dass internationale Bürokraten sich sehr halsstarrig über jede Änderung zeigen können.

Möchten Sie noch etwas Näheres zum Treffen oder seinen künftigen Auswirkungen anführen?
Ich hoffe, dass dieses Treffen keine einmalige Angelegenheit bleibt. Dr. Wolfensohn möchte ein weiteres Treffen in knapp einem Jahr. Das bedeutet, dass wir das Thema wirklicher menschlicher Entwicklung vertiefen können und eröffnet die Hoffnung, dass wir eine ge-wisse Änderung in der Weltbank und in den Glaubensgemeinschaften ausmachen können, denn einige von uns sind ganz gut im predigen.


Zurück zur Homepage des  ÖkoBüro Hanau

Zurück zur Übersicht  BuddhaNetz-Info