Die Zerstörung der griechisch-buddhistischen Kunst Afghanistans
Von F.J. Litsch

In den heutigen islamischen Ländern Afghanistan und Pakistan existierte vom 3. vorchristlichen bis zum 7. nachchristlichen Jahrhundert eine hochentwickelte griechisch-buddhistische Kultur, insbesondere die des Königreichs von Gandhara. Sie war entstanden zur Zeit des buddhistischen Kaisers Ashoka in Indien und nahm im Gefolge des Eroberungszuges Alexander des Grossen von Griechenland bis zum Indus zahlreiche hellenistische Kulturelemente auf. So bildete sich eine historisch einmalige Verschmelzung von europäischer und asiatischer Kultur, von griechischen, persischen und indischen Kultureinflüssen heraus, für die es auch schriftliche Zeugnisse gibt, wie das in Pali-Sprache überlieferte Buch "Milinda-pañha" ("Fragen des Königs Milinda"), ein philosophischer Dialog zwischen dem griechischen König Milinda (Menandros) und dem buddhistischen Mönch Nagasena.

Nach dem Vorbild griechischer Statuen, insbesondere nach dem Bildnis des Sonnengottes Apollo wurden hier die ersten Buddhadarstellungen Asiens geschaffen. Sie zeichnen sich aus durch ihre sanften, bisweilen ausgesprochen weiblichen (bzw. androgynen) Gesichtszüge, ihre anmutige Körperhaltung und den schwungvollen Faltenwurf von Buddhas Mönchsrobe. Aber auch zahlreiche figürlich reiche, plastische Szenen aus dem Leben oder den Vorleben des Buddha und seiner Schülerschaft, sowie eine Fülle farbenreicher Freskenmalerei in den Höhlenklöstern der Mönche und Nonnen wurden geschaffen und sind bis heute erhalten.

Einige der Zeugnisse dieser Kulturepoche sind in Museum über die ganze Welt verstreut, mehrere besonders wertvolle in der indischen Abteilung des Völkerkundemuseums von Berlin-Dahlem. Eine Vielzahl erhaltener Zeugnisse befindet sich aber noch an den archäologischen Stätten Pakistans und Afghanistans insbesondere im National-Museum der Hauptstadt Kabul. Die landesweite Zerstörung dieser Bildnisse, gegen die auch zahlreiche Muslime protestieren, stellt einen einzigartigen  Kulturverlust für die ganze Menschheit dar.

Eine Erklärung der Deutschen Buddhistischen Union:

Mit Unverständnis und Entsetzten nehmen die deutschen Buddhistinnen und Buddhisten die Pläne und Aktionen der afghanischen Taliban-Milizen zur Kenntnis. Sie missbilligen den barbarischen Akt der Zerstörung von Kulturgütern, die zum historischen Erbe der gesamten Menschheit gehören und einen unnennbaren Wert besitzen.

Die Vernichtung wertvoller Kunstschätze und Buddhastatuen, unter ihnen die weltberühmten Bildnisse von Bamiyan, ist ein Anschlag auf die religiöse Toleranz und die Freiheit Andersdenkender. Sie ist mit keinen religiösen Grundsätzen zu rechtfertigen und können nicht im Namen eines barmherzigen und allmächtigen Gottes geschehen.

Die Deutsche Buddhistische Union Die Deutsche Buddhistische Union (DBU) ist sich dessen bewusst, dass die allermeisten Muslime in der ganzen Welt weder dieses beispiellose Vorgehen gutheißen noch die ihm zu Grunde liegende menschenverachtende Haltung teilen. Sie hofft, dass die aktuellen Ereignisse das allgemeine Klima des Respekts und der Aufgeschlossenheit unter den Religionen in Deutschland nicht vergiften. Sie ruft dazu auf, Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung abzulehnen und den interreligiösen Dialog fortzusetzen. Mit ihrem Tun ist den Taliban-Milizen jedenfalls eines gelungen: die Aufmerksamkeit der Welt auf den Buddhismus mir seiner reichen Geschichte und seiner friedlichen Botschaft zu lenken.

Dr. Alfred Weil
(für die Deutsche Buddhistische Union)


Ein einmaliges Zeugnis kultureller Blüte

Bamian und das dazugehörige Bamian-Becken im zentralen Hochland Afghanistans verdanken ihre kulturelle Bedeutung den von alters her durch diese Region führenden Handelswegen. Auf halbem Weg zwischen Peshawar und Baktrien gelegen, am Zugang zu den hoch gelegenen Pässen des Hindukusch, war Bamian eine wichtige Rast- und Handelsstation für Karawanen auf dem Weg von Zentralasien nach Nordwestindien. Die geographische Lage der Stadt dürfte auch ihren Aufstieg zu einem wichtigen religiösen Zentrum begründet haben.

Dieser Aufstieg ist mit dem Namen Kanishkas verbunden, eines Herrschers der Kushan, der im 1. Jahrhundert nach Christus regiert hat. Er trat zum Buddhismus über und verhalf dieser Religion in dem Gebiet seiner Herrschaft zu großer Blüte. Bamian wurde als Folge dieser Entwicklung zu einer Hochburg des Buddhismus. Wahrscheinlich bereits unter Kanishka wurde damit begonnen, Grotten in die das Tal begrenzenden Felswände zu hauen. Die beiden berühmten Buddha-Statuen, die nun von der Zerstörung durch die Taliban bedroht sind, stammen allerdings aus einer etwas späteren Zeit. Sie werden auf das 3. beziehungsweise 5. bis 6. Jahrhundert nach Christus datiert. Beide Statuen sind in einem Abstand von 400 Metern in die Felswand gehauen und blicken nach Süden. Sie stehen jeweils in Nischen, die sie vor Erosion geschützt haben. Ähnliche Nischen finden sich auch in der Felswand zwischen den beiden Statuen und in ihrer Umgebung, zum Teil sind sie untereinander mit Gängen verbunden.

Die kleinere und ältere der beiden Statuen erreicht eine Höhe von 38 Metern. Sie stellt einen stehenden Buddha dar, der mit einem Gewand im Stil buddhistischer Mönche bekleidet ist. Seine Haartracht erinnert an griechische Vorbilder und verweist auf Einflüsse aus der Gandhara-Kunst. Vergleiche mit Stuckfiguren aus Taxila legen es nahe, eine Entstehung dieser Statue nicht vor dem Jahr 200 anzunehmen. Auch bei der größeren Statue (55 Meter) handelt es sich um das Bildnis eines stehenden Buddhas.

Wegen ihrer ausgewogenen Proportionen gilt sie als ästhetisch gelungener als die ältere Figur. Ihre künstlerische Gestaltung weist starke Parallelen zu einer auf das Jahr 449 bis 450 datierten Buddha-Statue im Museum von Lucknow auf. Sie kann zudem mit Bildwerken aus dem 5. und 6. Jahrhundert in Indien verglichen werden.

Schon früher das Ziel von Zerstörungen Wie wir aus dem Bericht des chinesischen Pilgers Xuanzang erfahren, der Bamian zwischen 629 und 645 besucht hat, waren die Buddha-Statuen aus Bamian ursprünglich bemalt beziehungsweise vergoldet. Von diesem Schmuck ist heute nichts mehr erhalten. Auch sonst sind die Statuen nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt zu sehen. Bereits mehrfach waren sie mutwilliger Zerstörung ausgesetzt. Ihre Gesichter wurden unter Aurangzeb (er regierte von 1658/59 bis 1707)zerstört, und Nadir-Shah (1736 bis 1747) ließ die Beine der größeren der zwei Statuen beschädigen. Die Arme dieser Statue sind ebenfalls zerstört.

Erhalten hat sich bis in unsere Zeit jedoch eine Treppe in der kleineren der beiden Nischen, über die man im Felsen nach oben zu einer Galerie steigen konnte. Auf ihr ließ sich der Kopf des Buddhas umwandern. Dieser Rundgang gehörte wahrscheinlich zum Pilgerritual und wurde von frommen Pilgern und Mönchen vollzogen. Auch um den Kopf der größeren Statue führte eine solche Galerie, die jedoch heute nur noch vom Felsen aus zu erreichen ist; vermutlich gab es ursprünglich ebenfalls eine Treppe.
Neben den Kolossalstatuen als solchen sind es vor allem Gemälde, die den Ruhm Bamians begründet haben. So waren die Wände der beiden Nischen mit Freskomalereien überzogen, die sich insbesondere im Bereich des Kopfes gut erhalten haben. Die Malereien weisen nicht nur in ihren Motiven Parallelen zur Gandhara-Kunst auf, sondern sind offensichtlich auch durch sassanidische Vorbilder beeinflusst. Dieser Einfluss zeigt sich in ikonographischen Details wie beispielsweise an der Kleidung, der Haartracht und an den flatternden Bändern.

Gleichartige Malereien finden sich auch in den benachbart gelegenen Nischen und Höhlen. Drei dieser Nischen waren ursprünglich ebenfalls mit Buddha-Statuen versehen. Sie enthielten sitzende Figuren, die heute jedoch nicht mehr erhalten sind. Andere Höhlen dienten als Zellen für buddhistische Mönche, denn als religiöses Zentrum verfügte Bamian ueber mindestens zwei Kloester, deren Anlage mit den Hephthaliten in Verbindung gebracht wird. Wie ein Pilgerbericht aus dem 8. Jahrhundert zeigt, wurden diese Kloester auch in islamischer Zeit nicht beschädigt. Sie wurden sogar von Dschingis Khan verschont, als er 1221 die Stadt Bamian zerstören ließ.

Durch die Verschmelzung indischer, persischer und griechischer Elemente, aber auch durch das Nebeneinander von Klosteranlage, Monumentalplastik und Malerei bilden die Überreste buddhistischer Kultur in Bamian ein Ensemble, dass in seiner Art einmalig ist. Mit seiner Zerstörung würde die Welt um ein wichtiges Zeugnis kultureller Blüte und überregionaler Beziehungen in einer Weltgegend, die heute nur noch durch Armut und Rückständigkeit Schlagzeilen macht, ärmer. Auch für Afghanistan selbst wäre dies ein großer Verlust.

Von Eva Orthmann (NZZ vom 3. März 2001), die Autorin ist Assistentin am Orientalischen Seminar der Universität Zürich. Sie hat in Tübingen Islamkunde und Iranistik studiert und in Halle/Saale im Fach Arabistik promoviert.



Bildersturm

Die Zerstörung zweier weltberühmter, antiker Buddha-Statuen durch die afghanischen Taliban wird selbst von Iran und Pakistan kritisiert. Wir befragten die renommierte Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel nach dem religiösen Hintergrund des Bildersturms.

SZ: Hat Taliban-Führer Muhammad Omar als Mullah überhaupt die religiöse Autorität, um so etwas zu befehlen?
Schimmel: Nein, die hat er nicht. Ich halte es außerdem für ausgeschlossen, dass ein islamischer Geistlicher eine solche Fatwa ausspricht.

SZ: Es wird angezweifelt, dass Omar überhaupt rechtmäßiger Mullah ist.

Schimmel: Es kann durchaus sein, dass er sich unrechtmäßig so nennt. Viele Fanatiker wie die Taliban kennen den Koran nicht. Sie haben ihn auswendig gelernt und können alles mit willkürlichen Zitaten belegen. Was wirklich darin steht – das wissen sie nicht.

SZ: Omar beruft sich beim Bildersturm auf „islamische Prinzipien“, die er gezwungen sei zu befolgen. Gibt es die?
Schimmel: Ein solches Bilderverbot steht nicht im Koran. Omar könnte sich auf die Geschichte Abrahams berufen, der Götzenbilder zerstörte. Aber das wäre eine falsche Interpretation, da es eine persönliche Handlung war, keine abstrahierbare religiöse. Selbst Alama Iqbal, der 1930 Pakistan als Staat für die Muslime des indischen Subkontinents forderte, sprach von der Pflicht, in diesem Staat die Heiligtümer anderer Religionen zu schützen. Iqbal wird immer noch in der Gegend hoch angesehen.

SZ: Konkret beruft Omar sich darauf, dass die Statuen eine Darstellung Beseelter wären, was eine Nachahmung von Gottes Werk sei.

Schimmel: So kann das nicht stimmen. Omar könnte damit belebte Dinge meinen, die keine Seele haben. Es gibt eine angebliche Äußerung des Propheten Mohammed, Leute die solches schaffen, müssten sich am Jüngsten Tag verantworten. Ich sage bewusst angeblich. Man muss sich nur anschauen, wie viele Politikerstatuen es in islamischen Staaten gibt, um dieses Argument zu beurteilen.

SZ: Hat nicht Chomeini 1979 im Iran die Zerstörung der sakralen Anlage Persepolis verhindert?
Schimmel: Das stimmt. Das ist eine gute Parallele zum Bildersturm der Taliban. Denn abgesehen von einigen Fanatikern hat damals niemand ernsthaft die Zerstörung von Persepolis gefordert. Die Kultstätte wurde ja nicht mehr benutzt. Diese Religion existierte nicht mehr .

SZ: Der Bildersturm gegen konkurrierende Religionen ist jedoch ein konstituierendes Element jeder Kulturgeschichte. Die Wiedertäufer in Münster, die Franken in Byzanz . . .

Schimmel: Ja, da gibt es auch im Christentum eine abscheuliche Tradition. Aber noch mal: Buddhisten waren zuletzt im 8. Jahrhundert in Afghanistan. Heute geht es um Kulturgüter, nicht um Kultorte. Doch man sollte darüber hinausblicken. Buddha
ist kein Gott, sondern eher ein religiöser Führer. Manche moderne Muslime sehen ihn sogar als Propheten an.
Interview: Konrad Lischka (SZ vom 06.03.2001 Feuilleton)



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