Buchkritik von Bert Brauns:
Robert Thurmans
Revolution von innen
Robert Thurmans „Revolution von innen“ lässt den Leser zwischen Begeisterung, Verwunderung und Befremden schwanken. In weiten Teilen stellt das Werk die asiatische Geschichte als eine durchaus begeisternde, nachvollziehbare Heilsentwicklung dar, dann folgen wieder völlig abgehobene Beschreibungen geistiger Prozesse, die allenfalls Liebhaber exotischer Esoterik in den Bann zieht, ansonsten aber in ihrer elativistischen Übersteigerung ermüdend wirkt und dann wieder folgen Passagen mit fast kritikloser Übernahme der Ideale des Amerikanismus.

 Dem Leser zwingt sich der Gedanke auf, hier sei nicht ein Buch geschrieben worden, vielmehr habe Thurman eine Vision entwickelt, sich zu einer Gliederung aufgerafft und den Text sodann auf Band gesprochen. So strömt denn in weiten Passagen ein Wortschwall auf den Leser ein und erschlägt oder verschreckt ihn – vielleicht würde er den Hörer erreichen.

Eines kann man dem Autor mit Sicherheit nicht vorwerfen: dass es ihm an Visionen mangelt. Er entwirft das Konzept einer Politik, die er als „aufgeklärte individualistische“ bezeichnet: „Diese aufgeklärte Politik ba-siert auf transzendentalem Individualismus, heroischem Pazifismus, erzieherischem Universalismus, sozialem Altruismus und demokratischem Liberalismus“ (S. 277). Thurman breitet seine Visionen schwärmerisch aus – leider sind sie in den Zielen ebenso erschlagend wie im Bereich der Umsetz-barkeit völlig unkonkret, teilweise naiv: „In unserem heutigen aufgeklärten politischen System bemüht man sich, uns das Leben zu erleichtern, uns Freiheiten zu geben und uns bei der Suche nach unsrem Glück zu unterstützen“ (S. 95). Dies als Beschreibung der USA in den 90er Jahren befremdet doch etwas, zumal völlig ungeklärt ist, wer dieses „man“ ist, der alle diese tollen Ideen ver-wirklicht. So entwickelt uns Thurman ein ganzes Potpourri politischer Vorstellungen, die an die Schwärmereien eines 17-jährigen Möchtegern-Revolutionärs erinnern. Versuchen Sie beispielsweise einmal diesen Satz wirklich gedanklich zu durchdringen: „Außerdem sollten die Bürger aller freiheit-lichen Staaten in allen Teilen der Welt allen Völkern als Künstler und Visionäre zur Verfügung stehen und Jazz und Rock, Film und Mode, Computer und Solarzellen in alle Welt exportieren“ (S. 287). Hierzu spielt Thurman mit dem Gedanken, dies durch die Gründung einer neuen Partei anzugehen (S. 281f).

Dabei sind eine Reihe seiner Kerngedanken zwar nicht originell aber durchaus in die richtige Richtung gehend: „Hauptgegner des Mönchswesens ist der imperialistische Militarismus, die Kerninstitution weltlicher und religiöser Herrscher in konventionellen Gesellschaften.“ Daneben stehen aber teil-weise absurde Verkennungen der Realitäten, so wird die tibetische Gesellschaft zum Quell der Epoche der abendländischen Aufklärung: „Tibet fungiert gewissermaßen als ein im verborgenen wirkender Energiequell, mit dessen Hilfe sich die äußere Welt im letzten Jahrtausend allmählich aufgeklärtem Den-ken zuwandte“ (S. 213). Gerade im Bezug auf Tibet stellt Thurman ständig Widersprü-che dar, ohne sich auch nur im geringsten um ihre Entwirrung zu bemühen. Einerseits ist Tibet – laut Thurman – das einzige Land, in dem die „gleichmütige Revolution“ über die Phase der „evolutionären“ auf die „erlösungs- oder heilsorientierte“ Ebene gelangt ist, dann wieder tauchen jedoch in der tibeti-schen Geschichte beständig „warlords“ auf und gewinnen erheblichen Einfluss auf die Bevölkerung, die doch insgesamt von der „gleichmütigen Revolution“ ergriffen war.

Neben der völlig übersteigerten Rolle Tibets („Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit vollzog sich in den letzten tausend Jahren der kulturellen Entwicklung Tibets ein kontinuierlicher Wandlungsprozess in Richtung innerer Fortschrittlichkeit und gleichmütiger Evolution“ S. 213.) ist es besonders die Rolle der USA, die es Thurman angetan hat. Er träumt den „American Dream“ und fordert uns zum Mitträumen auf: so entsteht neben dem Buddha der US-Präsident Jefferson als zweite Lichtgestalt - „Wir, die Bürger der Vereinigten Staaten, leben in einem Land, das als einziges der Welt seinen Bürgern qua Verfassung formell das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück garantiert“ (S. 73).
 
Und so schlägt Thurman die Schlacht zwi-schen „Gods own country“ und dem „Reich des Bösen“ erneut: Die Geschichte ist der Kampf zwischen Individualismus (gut, buddhistisch, amerikanisch) und Kollektivismus (böse, kommunistisch, faschistisch, militaristisch). Mit dem Auftauchen des Buddha war für Thurman „die Geburtsstunde für einen in der Praxis gelebten kompromisslosen Individualismus in der indischen Zivilisation angebrochen“. Der Buddha als kompromissloser Anhänger einer Richtung von zwei Extremen (Individualismus – Kollektivismus) statt als einer, der den mittleren Pfad lehrt – kein Wunder, dass der Begriff der Sangha, der spirituellen Gemeinschaft bei Thurman verblasst, ja praktisch überhaupt nicht auftaucht. Statt dessen steht das „Ich“, das „Selbst“ im Mittelpunkt eines ganzen Kapitels. So gelingt es dem Autor auf einer Seite (S. 76) nicht weniger als 20 Mal das Wort „ich“ zu verwen-den und weitere 40 (!) Mal ein entsprechen-des Pronomen („mein“, „mir“, „es“ – nämlich das Ich) – und das in nur 37 Zeilen.

Alles in allem ein Buch mit Visionen, ein Buch das sicher dem engagierten Buddhismus zuzurechnen ist, aber auch ein Buch, das Fragezeichen hinterlässt. Der Dalai Lama schreibt in seinem Vorwort: „Die Lektüre des vorliegenden Buches ... kann einigen Lesern möglicherweise Mut machen und sie davon überzeugen, dass auch Politik buddhistische Praxis sein kann und wohltätiges und geschicktes soziales Handeln sehr wohl ein Pfad zur Erleuchtung sein könnte.“ Diesen Worten (die Hervorhebung stammt vom Autor dieser Buchkritik) ist nichts hinzuzufügen.



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